Donnerstag, 6. Juli 2017

Hermann Hesse - Siddhartha

  • Schon verstand er, lautlos das Om zu sprechen, das Wort der Worte, es lautlos in sich hinein zu sprechen mit dem Einhauch, es lautlos aus sich heraus zu sprechen mit dem Aushauch, mit gesammelter Seele, die Stirn umgeben vom Glanz des klardenkenden Geistes. Schon verstand er, im Innern seines Wesens Atman zu wissen, unzerstörbar, eins mit dem Weltall.
  • Und wie war das mit den Göttern? War es wirklich Prajapati, der die Welt erschaffen hat? War es nicht der Atman, Er, der Einzige, der All-Eine? [...] Wem anders war zu opfern? wem anders war Verehrung darzubringen als Ihm, dem Einzigen, dem Atman? Und wo war Atman zu finden, wo wohnte Er, wo schlug Sein ewiges Herz, wo anders als im eigenen Ich, im Innersten, im Unzerstörbaren, das ein jeder in sich trug?
  • Vollkommenheit seiner Ruge, an der Stille seiner Gestalt, in welcher kein Suchen, kein Wollen kein Nachahmen, kein Bemühen zu erkennen war, nur Licht und Frieden.
  • Er stellte fest, dass er kein Jüngling mehr, sondern ein Mann geworden sei. Er stellte fest, dass eines ihn verlassen hatte, wie die Schlange von ihrer alten Haut verlassen wird, dass eines nicht mehr in ihm vorhanden war, das durch seine ganze Jugend ihn begleitet und zu ihm gehört hatte: der Wunsch, Lehrer zu haben und Lehren zu hören. [...] Langsamer ging der Denkende dahin und fragte sich selbst: "Was nun ist es aber, das du aus Lehren und von Lehrern hattest lernen wollen, und was sie, die dich viel gelehrt haben, dich doch nicht lehren konnten?" Und er fand: "Das Ich war es, dessen Sinn und Wesen ich lernen wollte. Das Ich war es, von dem ich loskommen, das ich überwinden wollte. Ich konnte es aber nicht überwinden, konnte es nur täuschen, konnte nur vor ihm fliehen, mich nur vor ihm verstecken. Wahrlich, kein Ding in der Welt hat so viel meine Gedanken beschäftigt wie dieses mein Ich, dies Rätsel, daß ich lebe, daß ich einer und von allen andern getrennt und abgesondert bin, daß ich Siddhartha bin! Und über kein Ding in der Welt weiß ich weniger als über mich, über Siddhartha!" [...] Bei mir selbst will ich lernen!
  • Dies alles [...] war in den früheren Zeiten für Siddhartha  [...], mit Mißtrauen betrachtet, dazu bestimmt, vom Gedanken durchdrungen und vernichtet zu werden, da es nicht Wesen war,  [...] Schön war die Welt, wenn man sie so betrachtete, so ohne Suchen, so einfach, so kinderhaft.  [...] Schön und lieblich war es, so durch die Welt zu gehen, so kindlich, so erwacht, so dem Nahen aufgetan, so ohne Mißtrauen.
  • mäßiges Leben, Freude am Denken, Stunden der Versenkung, heimliches Wissen vom Selbst, vom ewigen Ich, das nicht Körper noch Bewußtsein ist.
  • Lächelnd wiegte sich der Ruderer: "Es ist schön, Herr, es ist, wie du sagst. Aber ist nicht jedes Leben, ist nicht jede Arbeit schön?
  • Du zwingst ihn nicht, schlägst ihn nicht, befiehlst ihm nicht, weil du weißt, das Weich stärker ist als Hart, Wasser stärker als Feld, Liebe stärker als Gewalt.
  • Sprach Siddhartha: "Was sollte ich dir, Ehrwürdiger, wohl zu sagen haben? Vielleicht das, dap du allzuviel suchst? Daß du vor Suchen nicht zum Finden kommst?
  • Ich scherze nicht. Ich sage, was ich gefunden habe. Wissen kann man mitteilen, Weisheit aber nicht. Man kann sie finden, man kann sie leben, man kann von ihr getragen werden, man kann mit ihr Wunder tun, aber sagen und lehren kann man sie nicht.